2009
Ein mittelschönes Leben
Oetinger Audio
Obdachlosigkeit steht immer am Ende einer traurigen Entwicklung
Interview mit Kirsten Boie zu „Ein mittelschönes Leben“:
Wie sind die Idee zum Buch und die Zusammenarbeit mit Hinz&Kunzt entstanden?
Zum 15. Jubiläum der Hamburger Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt im vergangenen November wünschte sich die Zeitung ein Kinderbuch zum Thema Obdachlosigkeit für Kinder im Grundschulalter. Da Jutta Bauer und ich beide in Hamburg leben, wurden wir angesprochen. Die Initiative ging also nicht von uns aus, was sicher sehr hilfreich war: Das Buch hat jetzt durch seinen speziellen Entstehungs-Hintergrund und die direkte Mitarbeit von Obdachlosen den Bonus der Authentizität.
Wie sah Ihre Recherche zum Buch aus?
Hinz&Kunzt hat uns mit Bergen von Material ausgestattet, wir haben viele Gespräche führen können mit Sozialarbeitern und Obdachlosen. Wichtig war das vor allem, weil wir zunächst nicht wussten, wie wir das Thema angehen sollten beide haben wir bisher keine „Problembücher“ auf Auftrag gemacht. Wir wollten auf keinen Fall kitschig-sentimental werden, wussten aber gleichzeitig, dass man für Kinder dringend einen emotionalen Anker braucht, der ihnen in irgendeiner Form die Identifikation erlaubt. Schließlich war ich überzeugt: Eigentlich brauchen wir keine Geschichte über das Leben als Obdachloser, sondern über den Weg in die Obdachlosigkeit, die zeigt, dass so ein Absturz immer aus einem ganz „normalen“ Leben heraus passiert. Die Mitarbeiter von Hinz&Kunzt haben den Text dann Zeitungsverkäufern gezeigt, die ihre eigene Geschichte darin wiedererkannten. (Das war für uns sehr wichtig).
Inwiefern ist das Thema Obdachlosigkeit für Kinder wichtig?
Vor allem Großstadtkinder begegnen auf den Straßen fast täglich Obdachlosen. Wir wollten vermitteln, dass wir es hier nur am Rande mit einem individuell verschuldeten Problem zu tun haben, dass Obdachlosigkeit immer am Ende einer traurigen Entwicklung von Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, sozialer Isolation steht. Am Anfang ist der Mann in der Geschichte ein ganz normales Kind, später ein ganz normaler Vater. Ich denke, das bringt Kindern das Problem näher, als wenn sie es von Anfang an mit einem Obdachlosen als dem „ganz Anderen“ zu tun hätten. Ganz wichtig finde ich auch, dass einige Fragen Hamburger Grundschüler am Ende des Buches stehen und dass „echte“ Obdachlose (mit Namen und Altersangabe) sie beantworten. Das rückt diese Menschen noch ein bisschen mehr in den Bereich der eigenen Normalität und heraus aus dem Status des Exotischen.
Was gefällt Ihnen an der Hörbuchumsetzung besonders gut?
Alles! Die Sprecherin schafft es sehr schön, mit einem vollkommen unsentimentalen Ton die Hörer trotzdem auch emotional zu erreichen. Dass so ein umfangreicher Featureteil enthalten ist, bei dem Obdachlose Kinderfragen beantworten, ist in meinen Augen der Kern des Ganzen, ich bin auch ziemlich sicher, dass genau das die Hörer faszinieren wird. Dazu kommt, dass die Musik eine wunderschöne und passende Atmosphäre schafft.
Kirsten Boie:
Ein mittelschönes Leben
Ungekürzte Lesung. Ab 6
Mit Sachteil und Interviewsequenzen
Spieldauer: ca. 47 Minuten
Erzählerin: Ursula Illert
Sprecher des Sachteils: Wolf Frass
Musik: Jens Fischer, Uli Kringler
Hamburg: Oetinger audio 2009
ISBN 978-3-8373-0498-5
7,95 EUR(D) / 15,- sFr / 8,10 EUR(A)
Erscheint Ende Juli 2009
Pressestimmen zum Buch:
„…so geradlinig, so unpathetisch und dadurch so bewegend, wie Kirsten Boie erzählt, zeigt sich hier ein authentisches Stück Kinderliteratur.“ (ZEIT LITERATUR)
„Ein ungewöhnliches Sachbuch, das sehr zum Nachdenken und Diskutieren anregt.“ (WDR, Lilipuz)
„Ganz ohne Pathos und Besserwisserei haben die Hamburger Autorin Kirsten Boie und die Cartoonistin Jutta Bauer ein schwieriges Thema angepackt. … In schlichten Worten und Bildern ersteht ein Schicksal, das unter die Haut geht. Nicht nur Kindern … So nah wie dieses Buch kommt selten ein Druckwerk dem Phänomen Obdachlosigkeit. Sein Appell: Die Würde jedes Menschen ist unantastbar.“ (Schleswig-Holstein am Sonntag)