2016
Interview zu allgemeinen Fragen des Schreibens
1.Für welche Kinder schreiben Sie, welches Kind sehen Sie vor sich, wenn Sie eine Geschichte planen?
Gar keins! Ich habe im Kopf einfach die Vorstellung eines bestimmten Entwicklungsstandes das ist sehr unromantisch und ich weiß, es wäre schöner, ich könnte schreiben: „Ich schreibe für das Kind, das ich einmal war“ oder: „Ich sehe beim Schreiben immer meine eigenen Kinder vor mir.“ Leider ist es aber nicht so!
2. Ihre Bücher beschäftigen sich sowohl mit ernsten, als auch mit „leichteren“ Themen. Wollen Sie Kinder in erster Linie unterhalten oder ihnen etwas beibringen, eine bestimmte Botschaft vermitteln? Ihre Geschichten haben auch durchweg starke, oft unkonventionelle Hauptfiguren. Sind diese eher Vorbild oder Identifikationsfigur für die Leser? Oder im Idealfall beides?
Vor allem möchte ich, dass Kinder Spaß am Lesen haben sonst funktionieren nämlich alle anderen von Ihnen genannten Aspekte auch nicht. Manchmal haben meine Bücher eine Botschaft, manchmal nicht ich schreibe da aus ganz unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Zielen. Und die Hauptfiguren sind ganz sicher eher Identifikationsfiguren als Vorbilder; dafür haben sie alle viel zu viele Probleme und sind auch in ihrem Verhalten ja längst nicht immer so ganz makellos!
3. Sie brechen in Ihren Geschichten oft mit Geschlechterklischees, schreiben über einen Meerjungmann oder eine Seeräuberin. Inwiefern spielen Emanzipation bzw. geschlechtsbedingte Stereotypen und Ungerechtigkeiten auch in Ihrer eigenen Biografie, Ihrem Leben eine Rolle?
Ich glaube, die spielen eine Rolle im Leben jeder Frau oft sogar, ohne dass es ihr bewusst ist. Und solange die Möglichkeiten für Mädchen und Jungen in unserer Gesellschaft unterschiedlich verteilt sind, darf das gerne auch in Büchern für Kinder eine Rolle spielen. Zu lesen, dass Jungs wie Mädchen Seeräuber oder Ritter werden können, macht es für Mädchen vielleicht leichter zu akzeptieren, dass sie selbst auch Automechanikerin oder Luftfahrtingenieurin werden können und überhaupt alles. Zu lesen, dass Jungs sensibel sein, weinen und Angst haben können, macht es vielleicht für Jungen leichter, das auch bei sich selbst zu akzeptieren.
4. Sie schreiben oft über ernste, schwierige Themen (Missbrauch, Gewalt, Depression, Flucht). Wie verpackt man so etwas kind-/jugendgerecht? Gibt es aus Ihrer Sicht Themen, die sich grundsätzlich nicht für Kinder eignen? Wie nah geht Ihnen selbst so etwas beim Schreiben bzw. Recherchieren (z.B. konkret auch die Geschichte von Rahaf und Hassan)?
Alle Themen, denen Kinder in ihrem Alltag begegnen, sollten ruhig auch in Kinderbüchern behandelt werden. Am Beispiel einer konkreten Geschichte werden sie oft viel verständlicher und nachvollziehbarer als durch theoretische Erläuterungen. Und natürlich gehen mir Schicksale, über die ich schreibe, beim Schreiben nahe sonst könnte es ja gar nicht funktionieren!
5. Viele ihrer Bücher greifen ja aktuelle gesellschaftliche Themen auf (z.B. das Leben in sozialen Brennpunkten oder auch ganz aktuell das Thema Flucht). Was wäre aus Ihrer Sicht das nächste aktuelle Thema, das eine Geschichte wert wäre?
Das weiß ich noch nicht!
6. Würden Sie sich wünschen, dass auch mehr Erwachsene Ihre Bücher lesen, um eine andere Sicht auf ihre Kinder oder auch gesellschaftliche Themen (siehe Frage oben) zu bekommen? Warum schreiben Sie lieber für Kinder als für Erwachsene? Juckt es Sie in den Fingern, auch mal etwas für Erwachsene zu schreiben?
Wenn Erwachsene meine Bücher (gemeinsam mit ihren Kindern) lesen, freut es mich. Aber ich habe immer nur für Kinder und Jugendliche geschrieben und nach so vielen Jahren habe ich dazu permanent neue Ideen, darauf ist mein Gehirn vermutlich inzwischen programmiert; auf Bücher für Erwachsene dagegen nicht.
7. Kinder wachsen heute mit verschiedenen Medien auf, haben angeblich kürzere Aufmerksamkeitsspannen und sind angeblich ständig reizüberflutet. Kann man sie da mit Büchern überhaupt noch erreichen? Bzw. muss man heute für Kinder anders schreiben als früher? Sind umgekehrt bestimmte Themen/Geschichten zeitlos?
Ich glaube, dass es für Kinder, die bis zum Schuleintritt nur mit audiovisuellen und elektronischen Medien in Kontakt waren, sehr viel schwieriger ist, danach noch zu begeisterten Lesern zu werden. Der Umgang mit den sogenannten „neuen“ Medien ist sehr, sehr viel einfacher (selbst bei komplizierten Computerspielen!) als das mühsame Erlernen einer Lesefertigkeit, die so groß ist, dass das Lesen dann auch Spaß machen kann. Das erfordert in der Regel eher Jahre als Monate und zu Anfang ist eine enorm hohe Frustrationstoleranz nötig. Für Kinder, die nicht daran gewöhnt sind, selbst innere Bilder und Gefühle zu entwickeln, wenn sie nur Text ohne Bilder vor sich haben, ist auch das schwierig. Sie brauchen einfachere Texte, gerne mit einem hohen Grad an äußerer Spannung. Dass andererseits Themen zeitlos sind, zeigt sich daran, dass dieselben Themen, die früher in Büchern behandelt wurden, heute Themen von Filmen und Videospielen sind und dass Bücher als Ausgangspunkt für beides dienen.
8. Über Sie war zu lesen, dass Sie an einen Ruhestand noch lange nicht denken. Glauben Sie, das wäre anders, wenn Sie in einem anderen Beruf arbeiten würden (z.B. noch als Lehrerin)?
Als Lehrerein wäre ich nach vierzig Arbeitsjahren vermutlich um einiges erschöpfter als jetzt. Ich habe einen enorm hohen Respekt vor Lehrern, vor allem, weil ich ja jahrelang selbst als Lehrerin gearbeitet habe und weiß, mit welchen Anforderungen sie konfrontiert sind. Als Autorin dagegen freue ich mich auf hoffentlich noch viele weitere Projekte!