2010
Prinz und Bottelknabe
Oetinger Verlag
– Mark Twain hat „Der Prinz und der Bettelknabe“ 1881 geschrieben. Deine moderne Fassung dieses Stoffes, das Jugendbuch „Der Prinz und der Bottelknabe oder Erzähl mir vom Dow Jones“, ist erstmals 1997 erschienen. Warum war dir das Thema damals wichtig und warum ist es auch heute noch aktuell?
Als Lehrerin habe ich in ganz unterschiedlichen Stadtteilen unterrichtet, zuletzt an einer Ganztagsgesamtschule in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Zu Anfang hatte ich da das Gefühl, meinen Beruf ganz neu lernen zu müssen, weil ich plötzlich auf Kinder mit sehr anderen Bedürfnissen und Problemen gestoßen bin als vorher am Gymnasium in einer behüteten Hamburger Gegend. – Seitdem hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, wie viele Kinder bei uns (oft trotz liebevoller und bemühter Eltern) unter extrem schwierigen Bedingungen aufwachsen müssen und wie wenig die anderen, denen es besser geht vor allem auch die Entscheidungsträger in der Politik! – wirklich von ihnen wissen. Die beiden Welten berühren sich ja kaum, es sei denn, man ist dort Lehrer oder Erzieher oder Sozialarbeiter. – In meinem Buch „Ich ganz cool“, in dem ein Dreizehnjähriger in seiner eigenen Sprache von seinem Alltag erzählt, habe ich versucht, so ein Leben authentisch darzustellen; gleichzeitig wusste ich aber, dass ein anstrengendes Buch wie dieses nie so viele Leser finden würde, wie ich sie mir für das Thema gewünscht hätte. Kinder und Jugendliche lesen ja lieber Unterhaltsames. Darum habe ich lange nach einer Möglichkeit gesucht, von der Schere zwischen Arm und Reich so zu erzählen, dass es Spaß macht, das Buch zu lesen ohne dass dabei die Aussage verwässert würde. Durch Zufall bin ich irgendwann wieder auf Mark Twains „Prinz und Bettelknabe“ gestoßen, und das hat mir dann die ideale Vorlage geboten. Und weil sich seitdem nichts an der sozialen Problematik geändert hat im Gegenteil, die Schere klafft immer nur weiter auseinander kann man das Buch auch ruhig heute noch lesen.
– Im Film fallen häufig Sätze wie „Da musst du was ändern“ oder „Was sollen wir daran ändern?“ Der Konflikt zwischen Arm und Reich ist ein Dauerthema. Wie kann sich deiner Ansicht nach daran etwas ändern oder wird es immer so bleiben?
Vor allem muss sich daran etwas ändern, wenn auf Dauer der soziale Friede gewahrt bleiben soll, das ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern der gesellschaftlichen Logik. In einer Welt, in der über diverse Medien alles miteinander vernetzt ist, werden sich die, die nichts oder wenig haben, kaum auf Dauer damit zufrieden geben, wenn sie gleichzeitig ständig sehen, hören oder lesen, wie es den anderen geht. Inzwischen betrifft das ja nicht mehr nur die Situation innerhalb eines einzelnen Landes, sondern zudem die zwischen Arm und Reich weltweit. Was genau dann der Kipppunkt sein wird, wenn es weiter geht wie bisher, kann vermutlich niemand so genau sagen; aber dass es ihn geben wird, sobald die Balance überhaupt nicht mehr stimmt, erscheint mir selbstverständlich. Natürlich weiß ich auch keine Lösung in einer globalisierten Welt ist das ja alles unendlich viel komplexer als früher, als man mehr oder weniger alles per Solidarprinzip innerhalb eines Staates regeln konnte, wenn man denn wollte. Und zumindest alles, was immer noch so zu regeln ist, sollten wir bei uns ganz dringend stärker versuchen als bisher; da ist die Politik gefordert, z.B. nicht nur in Sonntagsreden ständig zu betonen, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten bessere Bildungschancen brauchen, sondern da auch endlich die ziemlich gigantischen Mittel zur Verfügung zu stellen, die dafür benötigt werden. Seit in der Bankenkrise auf einmal über Staatsverschuldung Beträge in dreistelliger Milliardenhöhe zur Sanierung der Banken aufgebracht werden konnten, fällt es schwer zu glauben, dass keine umfangreicheren Mittel für die Bildung zur Verfügung stehen könnten. Es scheint nur als nicht so dringend angesehen zu werden was es aber natürlich ist, schließlich ist es ja die kommende Generation, die z.B. auch den Bankenkrisen-Schuldenberg abtragen soll, und dazu muss sie qualifiziert sein. Manchmal glaube ich, dass es zumindest schon mal helfen könnte, wenn die, die haben, mehr wüssten von denen, die nichts haben, darauf hoffe ich. Und das ist auch das Einzige, wozu ich als Kinderbuchautorin vielleicht ein bisschen beitragen kann. Das Tolle ist ja: Dinge, die sich uns in Kindheit und Jugend einprägen, haben oft ein Leben lang eine Wirkung.
– Was glaubst du: In welcher Familie würde der Zuschauer am liebsten leben?
So stellt sich die Frage für Kinder gar nicht, glaube ich. Nicht als Alternative. Sie möchten beides: Das liebevolle Chaos, die Geschwistergruppe und die Freiheit der Bottelfamilie, verbunden mit dem Wohlstand der Prinzen. Ich habe mal versucht herauszukriegen, welcher der beiden Jungen Kinder sein möchten und selbst da fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus, je nachdem, um was für ein Kind es sich handelt. Aber eigentlich finde ich das ganz schön. Es zeigt ja, dass der Film eben nicht von so einer erschlagenden Eindeutigkeit ist, sondern durchaus differenziert, und keine der beiden Seiten diffamiert.
– Wäre nicht alles einfacher, wenn sich nicht alles ums Geld drehen würde?
Der reiche Vater denkt ständig darüber nach, wie er noch mehr Geld verdienen kann, und schenkt seinem Sohn Aktien zum Geburtstag. Bei der armen Familie dreht sich auch alles immer nur ums Geld, einfach deshalb weil keines vorhanden ist.
Eben. Natürlich wäre dann alles einfacher. Aber wenn man ein Bottel ist, hat man gar keine andere Chance, man muss ständig überlegen, wie man über die Runden kommen soll: Da wäre es sehr naiv und nachlässig, nicht über Geld nachzudenken. Und bizarrerweise scheint das Thema ja sogar an Bedeutung zuzunehmen, je mehr jemand hat, das scheint tatsächlich eine menschliche Konstante zu sein. Das Märchen vom Fischer und seiner Frau erzählt davon, wir haben Sprichwörter wie „je mehr er hat, je mehr er will“ und das Verhalten etwa von Bankmenschen in der Wirtschaftskrise zeigt das auf geradezu verblüffende, schulbuchmäßige Weise. Im Film sehen wir, dass Geld gerade auch viel Geld – eben nicht per se glücklich macht. Allerdings gilt das erst von einem Punkt an, an dem man wirklich genug hat im Rahmen der Gesellschaft, in der man lebt, vorher macht Geld durchaus noch glücklich, zumindest glücklicher. Von welchem Punkt an das nicht mehr der Fall ist, scheint schwer zu definieren zu sein. Aber dass Armut nicht glücklich macht, weiß ohnehin jeder. Warum Calvin sich in der Bottelfamilie trotzdem so wohl fühlt, zeigt der Film trotzdem sehr schön, finde ich: Es liegt an der selbstverständlichen, liebevollen Beziehung der Familienmitglieder unter einander, an der Fürsorge, die er für seine kleine „Schwester“ Nisi empfindet, an der familiären Wärme und daran, dass er sich als die Person geliebt fühlen kann, die er ist, nicht als jemand, der das Renommee der Familie mehren muss.
– Die Geschichte, die du dir ausgedacht hast, als Film zu sehen. Wie fühlt sich das an? Bist du mit der Umsetzung einverstanden?
Ja, sehr. Der Film ist ein anderes Medium als das Buch, beide können Unterschiedliches leisten, und darum wäre es bei der Verfilmung von Büchern oft gerade verfehlt, eine Eins-zu eins-Umsetzung zu versuchen. Wichtig war mir, dass die wesentlichen Elemente der Handlung, die Figurenkonstellation und die Charaktere, vor allem aber die Aussage erhalten bleiben sollten. Und das ist, finde ich, in diesem Film hervorragend gelungen.
– Was gefällt dir an der Verfilmung besonders?
Die Schauspieler, sogar in den Nebenrollen, sind großartig. Moritz Jahn in der extrem schwierigen Doppelrolle als Calvin und Kevin (er muss einen reichen Jungen spielen, der einen armen Jungen spielt, und einen armen Jungen, der einen reichen Jungen spielt das ist für eine einzelne Person schon verzwickt!) ist für einen Dreizehnjährigen ganz ungewöhnlich gut; und die erwachsenen Hauptdarsteller wie Jürgen Heinrich oder Julia Jäger, die wir sonst eigentlich aus vollkommen anderen Rollen kennen, haben es offensichtlich genossen, einmal eine ganz neue Seite zu zeigen. Die Regie von Carola Hattop ist toll, beim Dreh herrschte trotz unglaublich konzentrierter Arbeitsatmosphäre eine große Lockerheit und Fröhlichkeit, das hat sich m.E. auf den Film übertragen. Und allen Beteiligten ist es eben immer darum gegangen, nicht nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern dabei genau das gesellschaftliche Kernthema des Films herauszuarbeiten.
– Warst du an der filmischen Umsetzung beteiligt, z.B. beim Schreiben des Drehbuchs oder sonst im kreativen Prozess?
Ich habe alle Drehbücher in sämtlichen Fassungen durchgearbeitet und an allen Drehbuchkonferenzen teilgenommen. Ich fand das ganz wichtig, damit am Ende eben nicht ein Film entstehen sollte, mit dem ich mich nicht hätte identifizieren können, obwohl ich die Bücher ganz bewusst nicht selbst schreiben wollte. Aber Autoren sind ja oft enttäuscht von der filmischen Umsetzung ihrer Bücher, ich wollte sicher gehen, dass mir das nicht passiert. Viel habe ich mir aber nicht wünschen müssen Michael Demuth ist ein sehr, sehr guter Drehbuchautor, der nicht nur viele Preise bekommen hat, sondern aufgrund seiner beruflichen Vorgeschichte auch ganz viel von Jugendlichen versteht, und ihm wie dem ganzen Team ist es um haargenau das Gleiche gegangen wie mir: Darum, möglichst realistisch eine möglichst unterhaltsame Geschichte über zwei Jungen zu erzählen, die in ganz entgegensetzten Schichten der Gesellschaft aufwachsen. Das hat alle Diskussionen unglaublich konstruktiv, angenehm und ergiebig gemacht. Und ich habe in dem Prozess noch viel gelernt.
Stärker herausgehalten habe ich mich aus dem Casting da haben Produktionsfirma und Sender einfach viel mehr Erfahrung und einen sehr viel besseren Überblick als ich. Spannend fand ich aber die Besetzung der beiden Hauptrollen. ZDF und KIKA haben sechs Monate lang Deutschland weit in einem regelmäßig ausgestrahlten Castingaufruf nach einem Zwillingspaar für die Rollen von Kevin Bottel und Calvin Prinz gesucht nach zwei Jungs also, die haargenau gleich aussehen sollten. In allen deutschen Großstädten haben umfangreiche Castings stattgefunden, und es waren auch durchaus viele sympathische Zwillingspaare dabei, die man sich hätte vorstellen können. Das Problem war nur und das glaubt man ja bei identischen Zwillingen eigentlich nicht! dass immer einer schauspielerisch besser war als der andere. Das wäre also im Film schon sehr aufgefallen. Darum hat die Produktionsfirma dann schließlich, als die Zeit schon drängte, gewagt, Moritz Jahn mit einer Doppelrolle zu betrauen und das war hundertprozentig die richtige Entscheidung!
Presseinterview zur DVD